Freundschaften und Spaß am Sport nach Angst und Flucht
Soran und Sohaib aus Syrien sportlich beim SSV Kassau heimisch geworden
Vater Rateb Zatema aus Syrien mit Tochter Soran und Sohn Sohaib sowie dem Kassauer Jugendbetreuer Uwe Weede beim LG-Training. Foto: WB
Schon nach kurzer Zeit beim SSV Kassau bringt die elf Jahre alte Soran erstaunliche Resultate im Freihandschießen. Der stolze Vater schaut zu. Foto: WB
Nach dem Kreismeistertitel im Liegendschießen und Silber bei Dreistellung möchte Sohaib kurz nach seinem 14. Geburtstag gern zur Landesmeisterschaft. Foto: WB
Kassau Angst und Unsicherheit in ihrer syrischen Heimatstadt Daraa, eine zunächst nicht enden wollende Fluchtreise durch verschiedene Länder und die Ungewissheit, ob der Verlust der Heimat endgültig sein wird. Das alles prägt das junge Leben der neuen Kassauer Sportschützen Soran und Sohaib Zatema. Sie werden demnächst erst elf und vierzehn Jahre alt. Nun haben sie mit ihren drei weiteren Geschwistern und den Eltern eine Wohnung in Neustadt gefunden. Sportlich sind sie beim SSV Kassau aufgenommen und fühlen sich dort pudelwohl. „Weil alle sehr freundlich und hilfsbereit zu uns sind“, sagt Sohaib Zatema. Wie zum Dank schoss er nach seiner kurzen sportlichen Zeit ab Oktober 2018 vor wenigen Tagen den Kreismeistertitel im Luftgewehr-Liegendschießen mit eindrucksvollen 297 von 300 möglichen Ringen und die Vizemeisterschaft im Dreistellungskampf heraus.
Jugendleiter Rüdiger Witt und Uwe Weede als Stellvertreter kümmern sich mit vollem Einsatz um die Neuankömmlinge und auch ihren Vater Rateb (48), der zunächst beim Training zuschaute, aber nun bereits mit der Luftpistole den Konzentrationssport versucht. Er ist stolz auf seine beiden Schießsporttalente, die nach Einschätzung der Kassauer Jugendbetreuer bei den Landesmeisterschaften des Norddeutschen Schützenbundes in Kellinghusen in der Schülerklasse starten dürften.
Im Vereinshaus Kassau wurde über die Geschichte der Familie seit der Flucht vor dem Krieg in Syrien gesprochen. Dabei übersetzt Sohaib in hervorragendem Deutsch, wenn der sprachlich engagierte Vater Hilfe braucht oder wenn ihm schon mal die Stimme versagt. Vor sechs Jahren, Sohaib war da erste acht Jahre alt, zwang die Lage im Kriegsgebiet zum Weg nach Europa. Die große Stadt Danaa, südlich von Damaskus nahe der Grenze zu Jordanien, war zu gefährlich geworden. Dort war 2011 der Ausgangspunkt für Proteste gegen die Regierung Baschar al-Assads, damit der Anstoß für den schrecklichen Bürgerkrieg. Der Geheimdienst nahm seinerzeit eine Gruppe von Schülern in Daraa fest und folterte sie, weil sie regierungsfeindliche Graffiti an Wände gebracht hatten.
Der Junge schildert selbst einen Vorfall, bei dem er fast zu Tode gekommen wäre. „Wir waren da mit anderen Kindern, hörten Rufe, da sei eine so große Bombe“, und er zeigt mit seinen Armen wohl fast einen Meter Länge. „Wir sollten uns hinter den Sandhaufen legen… und schon explodierte das Ding“, sagt der Junge.
Die Entscheidung der Familie war damit gefallen: „Wir mussten weg, trotz des eigenen Hauses“, schildert der Vater. Durch Jordanien und Ägypten ging es später mit dem Schiff über das Mittelmeer nach Sizilien. In Italien wollten sich nicht bleiben. Die Mutter und die vier Kinder erreichten Österreich, dorthin kam der Vater nach. Weiter ging die Reise nach Schweden, wo die Familie acht Monate verbrachte. Bleiben wollte man dort aber nicht. Stationen vor Neustadt waren in Deutschland dann noch Bremen, Hamburg und Neumünster.
„In Neustadt leben wir seit drei Jahren, würden dort gern bleiben. Die jetzige neue Wohnung ist schön und bietet meinen Eltern und uns fünf Kindern genügend Platz. Mein jüngster Bruder ist vor drei Jahren in Eutin geboren“, erklärt Sohaib. Er selbst gehe in die sechste Klasse der Jacob Linau-Schule. „Und ist ein guter Schüler“ freut sich Vater Rateb. Dort habe er viele Freunde gefunden. „Ich habe sehr gute Lehrer“, wirft Sohaib noch schnell ein. Da meldet sich auch seine etwas schüchterne Schwester Soran zu Wort, sie geht in die vierte Klasse der Grundschule Neustädter Bucht: „Meine Lehrer sind auch nett und hilfsbereit. Und Freunde habe ich auch viele.“
Jugendwart Uwe Weede: „Zum Schießsport beim SSV Kassau kamen sie durch eine Ferienpassaktion der Stadt. Andere geflüchtete Kinder spielen Fußball oder Handball, Soran und Sohaib fanden die Konzentrationsansprüche der Luftgewehrschießens interessant. Das fordert die Einzelperson, ist aber auch Mannschaftssport.“
Das empfindet der Vater ebenso: „Meine Kinder sind ruhig und voller Ehrgeiz für neue hohe Leistungen. Vielleicht hilft es ihnen nach den vielen Erlebnissen.“ Das Gespräch wird nachdenklich, als Fragen zur Zukunft, zum Einkommen und zu einer eventuellen Rückkehr in die Heimkehr gestellt werden. Immerhin wartet in Syrien dort noch ein Haus, die zurückgebliebenen Großeltern schauen jetzt danach. „Da sind schon mal andere Menschen drin gewesen“, sagte Sohaib leise. Es fließen Tränen.
„Es muss hoffentlich bald Frieden einkehren. Ich werde jetzt nach dem anerkannten Asyl für meinen Unterhalt sorgen, von Unterstützungen allein möchte ich hier nicht leben“, sagt der Familienvater, der in der Heimat als Lkw-Fahrer gutes Geld verdient hat. „Leider wird der syrische Lkw-Führerschein hier nicht anerkannt. Ich suche Arbeit, es ist egal was, ich würde alles versuchen.“
Die Kassauer um die Vereinsvorsitzende Anka Venohr sind begeistert von ihren neuen Mitgliedern: „Für die bei Eintritt im Oktober noch zehn Jahre alte Soran mussten wir für das Luftgewehrschießen eine Sondergenehmigung für unter Zwölfjährige einholen. Das haben die Eltern gleich mitgetragen. Alle fügen sich in die Gemeinschaft freundlich und fröhlich ein.“ Und weil sie den ruhigen Vater schätzen gelernt hat, hofft sie: „Es gibt ja vielleicht Arbeitgeber, die diese Geschichte lesen und dem 48-jährigen Rateb Zatema in Neustadt eine berufliche Chance geben. Den normalen Führerschein besitzt er ja, könnte also Kleintransporter fahren.“
Für die neuen Kassauer Schülerklassensportschützen Soran und Sohaib steht neben dem Schwerpunkt Schule und Freundschaften pflegen fest: „Wir haben so viel erlebt und jetzt für unser Leben Sicherheit in einem friedlichen Land unseren Sport gefunden. Das ist einfach schön.“